22.10.2005

Thomas Bierling, Eva Weis, Peter Lehel
Recht harmonisch - Das vertonte Grundgesetz


Freie Jazz-Variationen über 19 Grundrechte

Von Stefan Schmöe

Der Titel Recht harmonisch. Das vertonte Grundgesetz führt in doppelter Hinsicht in die Irre. Erstens klingt er nach einem Kalauer. Eine Liedfassung des (im Übrigen viel zu umfangreichen) Gesetzestextes findet man hier keineswegs, und humoristisch geht es auch nicht zu. Vielmehr suchen Thomas Bierling (Komposition, Klavier), Eva Weiß (Stimme, Komposition der Vocal-Kompositionen) und Peter Lehel (Saxophon) eine ernst gemeinte und ernst zu nehmende musikalische Auseinandersetzung mit den Grundrechten. Diese werden mit musikalischen Mitteln in Hinsicht auf Sinn und Umsetzung hinterfragt. Dabei werden exemplarisch einzelne Textstellen herausgegriffen und teilweise verfremdet widergegeben; etwa wird der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3) teilweise auf Türkisch zitiert oder die Versammlungsfreiheit (Art. 8) dadaistisch in einzelne Silben zerlegt. Sängerin und Sprecherin Eva Weis geht spielerisch frei und sehr virtuos mit der Sprache um, und Sprache wird nicht nur zur Textwiedergabe, sondern auch durchaus avantgardistisch als Klangträger genutzt.

Zweitens suggeriert das Wort „harmonisch“ eine der klassischen Funktionsharmonik nahe Kompositionstechnik. Tatsächlich aber ist die Musik gerade harmonisch sehr frei, bewegt sich teilweise improvisatorisch im Bereich eines experimentellen Free Jazz am Rand der Atonalität. Ein Prelude, die Präambel und 19 Grundrechtsartikel ergeben 21 sehr kurze „Sätze“, die in unterschiedlichen (und unterschiedlich freien) Techniken ausgeführt sind. Es gibt Nummern, die einem bewährten Harmonieschema folgen, etwa dem Blues oder einem „Terroristen-Walzer“ (zu Art. 18 Verwirkung von Grundrechten), aber sie wirken beinahe wie Zitate aus alter Zeit. Insgesamt überwiegt der experimentelle Charakter.

Sicher ist nicht jede der 21 Nummern eine wirklich überzeugende Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Grundgesetz-Artikel, aber eine Reihe von ihnen machen tatsächlich nachdenklich und schärfen das Bewusstsein für dieses elementare Gesetzbuch. Aber unabhängig von solchen außermusikalischen und inhaltlichen Argumenten ist Recht harmonisch musikalisch in der Vielfalt der Ideen, ihrer souverän gehandhabten Experimentierfreudigkeit, ihren improvisatorischen Freiheiten und den unterschiedlichen Facetten des Jazz und Free Jazz, die hier gestreift werden, hörenswert und mehr als ein Kuriosum. Dazu trägt neben dem auch am Klavier versierten Komponisten Thomas Bierling noch Peter Lehel mit sensiblem und variationsreichem Spiel auf Sopran-und Tenorsaxophon, Bassklarinette und Tarogato (einem ungarischen Volksinstrument) bei.