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Recht harmonisch - Das vertonte Grundgesetz

Wie vertont man das Grundgesetz? Eine Frage, die sich auch Musiker nicht täglich stellen. Ist aber Anlass und -reiz gegeben, finden sich schnell jene, die sich mit Lust neuen Herausforderungen und Ideen zuwenden.

Pianist Thomas Bierling, Sängerin Eva Weis und Saxophonist Peter Lehel bilden ein Trio, dass es in dieser Form zuvor noch nicht gab, und ihr Werk "Recht harmonisch - Das vertonte Grundgesetz" (Antes/Bella Musica) lässt all jene aufhorchen, die gewillt sind, dem Leben auch musikalisch ein wenig mehr als nur die Oberfläche abzugewinnen.

Begeben wir uns hinein in eine ideenreiche Produktion, die von harmonischer Jazzigkeit über offene Akkorde bis hin zu höchst expressiven Tönen alles zu bieten hat, was ein ambitioniertes Projekt interessant macht. Während Pianist Bierling größtenteils ostenativ den Rhythmus vorgibt, arbeitet sich Sängerin Eva Weis quasi durch die insgesamt 21 Titel: Sie singt, schreit, stöhnt, croont, spricht und scattet und verleiht damit den Paragraphen ein farbiges musikalisches Antlitz, das alle jene begeistern wird, die dem aufregenden Feld der freien (vokalen) Musik etwas abgewinnen können. Saxophonist Lehel übernimmt währenddessen die Aufgabe der harmonischen Kontrapunkte und rundet mit seinen weichen Linien die durchaus und gewollt sperrig-spannenden Ansatzpunkte gekonnt ab.

Bewusst Gegensätzliches erhöht den Reiz des Projekts

Nicht selten ist man hin und weg, wie außergewöhnlich das Trio die eigengesetzte Aufgabe angeht, wobei es beispielsweise wie bei der jazzigen Umsetzung von Artikel III (Gleichheit vor dem Gesetz) kein Nachteil ist, das freie Element die bestimmende Stilrichtung des Werks sein zu lassen - gerade der Gegensatz der (freien) Improvisation und den bis auf den Buchstaben ausgeklügelten Gesetzestexten macht den Reiz der höchst anspruchsvollen Produktion aus.

Beeindruckend auch, wieviel Ideenreichtum und helle Freude in einem Projekt stecken kann, das sich prinzipiell mit einer durchaus trockenen Materie beschäftigt - hier wird das Pferd auch mal vom Schwanz her aufgezäumt, ohne den Anschein zu erwecken, die gebotene Ebene der Ernsthaftigkeit zu verlassen. Und so bewegt sich "Das vertonte Grundgesetz" im experimentellen Spannungsfeld zwischen Jazz und freier Musik, nicht ohne stets zu versuchen, den richtigen und dem jeweiligen Artikel angemessenen Akzent zu suchen und setzen - vieles ist hier mehr als gelungen.

Keine leichte, dafür aber lohnenswerte Kost

Wer sich und seinem von ebenjenem Grundgesetz geleiteten Leben mal wieder einen spannenden musikalischen Moment verschaffen will, darf hier zugreifen, denn eine derart hochinteressante, konzentrierte aber auch ambivalent-freie Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Säulen unserer Gesellschaft hat es wohl noch nicht gegeben. Dass es für Otto Normalhörer nicht leicht ist, in ein solches Konstrukt aus Gedanken, Gesetzen und Musik einzutauchen, liegt auf der Hand; nichtsdestotrotz lohnt es sich, einem der wirklich nachhaltigen und ambitionierten Kulturhauptstadt-Projekte Gehör zu schenken und sich - vielleicht bei einem guten Glas Wein - klammheimlich durch den Paragraphenwald des Grundgesetzes führen zu lassen. (tfr)

Meldung vom Montag, 13. Februar 2006 © ka-news 2006